Im Klassenzimmer der Willkommensschule P10 herrscht eine spürbare Vorfreude. Acht Kinder sitzen erwartungsvoll, während sie auf den Besuch von Jay Afrisando – den Soundkünstler, Klangzauberer und Fellow des Berliner Künstlerprogramms des DAAD sowie Dmytro, den Sprachbrückenbauer und Übersetzer und den Kulturagenten warten. Sie haben angekündigt, gemeinsam mit den Kindern Geschichten zu performen, Klänge zu kreieren und dabei sprachliche Barrieren zu überwinden.
Gemeinsam weben sie magische Geschichten, verbinden ukrainische, englische und deutsche Sprache. Am Ende des Tages fragen die Kinder: „Ви повернетеся завтра? Kommt ihr morgen wieder?“
Kooperationen für gesellschaftliche Teilhabe
Bildungsgerechtigkeit in der Kulturellen Bildung entsteht nicht im Alleingang – und sie muss erkämpft, gestaltet und verteidigt werden. Schulen und zahlreiche außerschulische Partner:innen – Künstler:innen, Museen, Theater, Jugendkunstschulen, Bibliotheken – arbeiten gemeinsam daran, Kindern und Jugendlichen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen und Kunst und Kultur zu einem selbstverständlichen Bestandteil ihrer Lebenswelt zu machen.
Perspektiven von Kindern und Jugendlichen im Zentrum
„Ich habe in der Gelben Villa mit der Klasse einen Workshop gemacht, da haben Erwachsene mit uns etwas gemacht. Ich war im Bauworkshop. Da haben wir was gebaut, es war voll cool. Weil wir keinen Unterricht gemacht haben. Es war voll besonders, weil du kreativ sein konntest und du dein Traumhaus, Boot, Tier oder sonst was machen kannst.“
Schüler:in 5. Klasse, Adolf-Glaßbrenner-Schule, Kreuzberg
Im Mittelpunkt der Kooperationen stehen idealerweise die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen1: Wie blicken sie auf Kooperationen? Was wünschen sie sich? Wann macht Zusammenarbeit Spaß, und unter welchen Vorzeichen eher nicht? Was machen Künstler:innen oder Vermittler:innen anders als die Lehrperson oder Erzieher:in in der Schule? Was ist im Museum/Theater etc. anders als in der Schule?
Schüler:innen aus vier Grundschulen des Kulturagentenprogramms haben für diesen Text ihren Blick auf Zusammenarbeit mit uns geteilt. Dabei wird deutlich: Kooperationen können Spaß machen, sie bringen auf neue Ideen und wirken integrativ – aber sie fordern auch heraus und machen Arbeit.
“Warum im Team arbeiten und funktionieren, wenn du die anderen Personen nicht magst?”
Schüler:in der Peter Pan Grundschule, Marzahn

“Für mich ist Teamarbeit immer gut, egal wo. Außer beim Essen.”
Schüler:in der Peter Pan-Grundschule
Miteinandersprechen
“Team macht Sinn, wenn man was schaffen muss, aber man das allein nicht schaffen kann. Oder wenn dir langweilig ist, kannst du ein Team bilden und miteinander reden.”
Schüler:in der Peter Pan Grundschule, Marzahn
Zu Beginn jeder Kooperation steht das Miteinandersprechen, um gegenseitig die Interessen, Erwartungen und Visionen kennenzulernen und um eine gemeinsame (wenngleich veränderbare) Richtung zu verabreden. Im Gespräch werden Fäden gesponnen, Formate ersonnen und Ziele formuliert. Wichtig ist dabei, das Verhältnis von Geben und Nehmen im gemeinsamen Prozess transparent zu machen: Warum wollen wir kooperieren? Was erwarten wir voneinander? Wie soll die Zusammenarbeit konkret aussehen? Wie teilen wir die Verantwortlichkeiten? Kulturagent:innen initiieren und moderieren diese Annäherungs- und Aushandlungsprozesse. Und sie ordnen die Kooperation in den größeren kulturellen Schulentwicklungsprozess ein.
„Zusammenarbeit mit anderen Kindern ist wichtig, weil man so andere kennenlernt und Kontakte knüpft. Ich finde man kann nur mit jemandem zusammenarbeiten, wenn man ihm vertrauen kann. Außerdem muss man zusammen lachen können.“
Schüler:in der 5. Klasse, Adolf-Glaßbrenner-Schule, Kreuzberg
Wenn unterschiedliche Perspektiven und Arbeitsweisen aufeinandertreffen, geht das nicht immer konfliktfrei vonstatten. Das knirscht auch schon mal ordentlich und gleichzeitig liegt genau da auch Potential. Daher bedarf es einer kontinuierlichen Reflexion der Rollenverhältnisse2 und Positionierungen, die in einen gemeinsamen Erfahrungsraum treten. Dabei gilt es, Machtverhältnisse mitzudenken und transparent zu machen. Wem stehen welche Ressourcen zur Verfügung, wer steht in welchen Abhängigkeiten und was passiert, wenn ich nicht mitmachen möchte?
Kooperation trifft kollaborative Lernformen trifft kulturelle Schulentwicklung
Kooperative Handlungsweisen prägen nicht nur den schulischen Alltag von Kindern und Jugendlichen. Ob im Klassenraum, auf dem Schulhof, auf dem Spiel- oder Sportplatz: Kinder und Jugendliche sind Expert:innen der Zusammenarbeit.
“Teamarbeit finde ich gut, weil man Meinungen anderer zu dem Thema hören kann und dass man Unterstützung hat, wenn man was nicht weiß. Und ich finde, wenn man zusammenarbeitet, macht es mehr Spaß als allein.”
Schüler:in der Peter-Pan-Grundschule
Künstlerische Projekte und Vermittlungsformate, die aus Kooperationen im Kulturagentenprogramm hervorgehen, bemühen sich, dieses intuitive Kooperieren von Kindern und Jugendlichen zu unterstützen, anstatt individuelle Leistungen in den Vordergrund zu stellen. Begreift man Schule als Ort des Miteinanders, kommt kollaborativen Lernformen ein hoher Stellenwert zu. Kollaboration meint dabei mehr als nur “Gruppenarbeit”, sondern adressiert Grundprinzipien des Lernens und Lehrens – und von kultureller Schulentwicklung. Während in Kooperationszusammenhängen verschiedene Akteur:innen aufeinandertreffen und sich nach der gemeinsamen Tätigkeit wieder in intakte Einheiten auflösen, meint die Kollaboration einen Prozess der Zusammenarbeit, aus dem die Akteur:innen verändert hervorgehen. (vgl. Terkessidis, Kollaboration, 14)
Kulturelle Schulentwicklung baut entsprechend auf beides: Kollaborative Formen der Zusammenarbeit, um Veränderung anzustoßen, ebenso wie Kooperationen, die „Unruhe“ in das System bringen und es in Bewegung versetzen. Schule wie Kulturinstitutionen brauchen Perspektiven und Impulse von außen, um Veränderung zu ermöglichen. Kooperationen können dabei ein Motor sein, um festgefahrene Muster aufzustören und Gewohnheiten zu unterbrechen.
Voneinander Lernen
“Das Museums-Erlebnis, von dem die Schüler:innen am lebhaftesten berichten, war das Schneemann-Bauen. Eigentlich stand an diesem Tag Plastizieren mit Ton auf dem Programm. Weil die Kinder das erste Mal richtig Schnee gesehen haben, hat die Kunstvermittlerin das plastische Arbeiten dann einfach auf den Vorplatz verlegt.”
(Lehrer:in einer Willkommensklasse, Rosa Parks Grundschule, Kreuzberg)

Kooperationen mit Künstler:innen und Kulturinstitutionen bieten Schüler:innen wie Pädagog:innen einen Erfahrungsraum, in dem sie neue Ausdrucksformen, transdisziplinäres Arbeiten, Techniken, Orte und Institutionen kennenlernen. Umgekehrt lernen Künstler:innen und Kulturschaffende von den Prozessen an Schulen als Kreuzungspunkt vielfältiger Lebenswelten und Lernformen. In diesem Zwischenraum agieren Kulturagent:innen als Prozessbegleiter:innen. An der Schnittstelle von Schule und Kultur arbeiten sie daran, die zwei Systeme mit ihren spezifischen Sprachen, Arbeitsweisen, Wissensformen, Erwartungen und Strukturen in Austausch zu bringen und zwischen den Systemen zu „übersetzen“.
Lernen und Lehren in Netzwerken
“Alleinarbeit ist einsam wie Einsamkeit.”
Schüler:in der Peter Pan Grundschule
Kulturelle Schulentwicklungsprozesse passieren nicht im Alleingang, sondern im besten Fall durch die Einbindung unterschiedlicher Akteur*innen der Bildungslandschaft in multiprofessionellen Teams. Kinder und Jugendliche verbringen heute einen großen Teil ihres Alltags in der Schule, die nicht nur Ort der Kompetenzentwicklung ist, sondern als multifunktionaler Lern- und Lebensort auch um das Wohlbefinden der Kinder bemüht ist (vgl. El-Mafaalani/Kurtenbach/Strohmeier, 2025, 157ff.) Das Ganztagsschulkonzept verfolgt daher das Ziel, Unterricht und außerunterrichtliche Angebote gut miteinander zu verzahnen und möglichst viele Synergien unter den Beteiligten zu erzeugen. Hier setzen viele der künstlerischen Kooperationsprojekte im Kulturagentenprogramm an, die – fächer- und oft jahrgangsverbindend – neue Formen des Miteinanders und der Welterschließung erproben. Im Sinne des Von- und Miteinanderlernens profitieren Schulen im Kulturagentenprogramm auch von schulübergreifenden Kooperationen im Schulnetzwerk. In Projekten wie Streitkultur oder Urbane Botanik experimentieren Schüler:innen unterschiedlicher Schulformen aus unterschiedlichen Bezirken mit verschiedenen Partner:innen aus Kunst und Kultur zu aktuellen gesellschaftlichen Themen.
Seit das Kulturagentenprogramm 2011 gestartet ist, ist so großes Netzwerk außerschulischer Kulturpartner:innen gewachsen, das in die Stadtgesellschaft und die Kunstszene hineinwirkt. Kooperationen bedeuten also gleichzeitig Öffnung und Vernetzung.
Kulturagent:innen als Mittler:innen im Zwischenraum
Die Arbeit der Kulturagent:innen steht exemplarisch für die Mittler:innenfunktion im Zwischenraum von Schule, Kulturinstitutionen und dem Feld der Künste, wie sie (zuletzt 2016) im Berliner Rahmenkonzept Kulturelle Bildung festgeschrieben ist.
Um eine zielorientierte und qualitätvolle Zusammenarbeit zu ermöglichen, braucht es Ressourcen auf allen Seiten: Vermittler:innen, die vor Ort in der Kulturinstitution oder in der Schule die kooperativen Lernprozesse gestalten, mit Leben füllen und begleiten. Künstler:innen, die ihre Arbeitsweisen in multiprofessionellen Teams einbringen, brauchen eine angemessene Honorierung und Möglichkeiten der Weiterbildung. Lehrpersonen brauchen Zeit, um Verbündete in der Schule zu finden, Allianzen zu schmieden und die Prozesse organisational zu verankern. Und es braucht Kulturagent:innen als Akteur:innen der Schnittstellen, die den Zwischenraum mit Leben füllen, die Kontakte initiieren und die Verbindungen herstellen. Menschen, die nachfragen, wenn es hakt, die das Kennenlernen organisieren und moderieren, die Interessen ausloten, Konflikte moderieren und die dranbleiben, wenn die Mühen der Ebene Einzug halten.
Aktuelle Entwicklungen
Während wir als Kulturagent:innenteam über Kooperationen im Programm nachdenken, werden genau diese Arbeitsweisen durch massive Kürzungen sowohl im Bildungs- als auch im Kulturhaushalt ausgehöhlt. Ressourcen, die eine nachhaltige Zusammenarbeit erst ermöglichen – sei es auf Seiten der Schule, der Kulturvermittlung und der außerschulischen Bildungsakteur:innen – werden aktuell in allen Bereichen der Kulturellen Bildung systematisch gekürzt und entzogen. Im Kulturagentenprogramm sind knapp 30% der Mittel für das laufende Jahr gestrichen. Das bedeutet konkret, dass es künftig kein Kunstgeld für die Umsetzung künstlerischer Kooperationsprojekte gibt und fünf von bisher elf Kulturagent:innen zur Jahresmitte das Programm verlassen müssen.
Wir stehen dafür ein, dass Kulturelle Bildung nicht nur Beiwerk, sondern ein Grundrecht ist. Mit jeder Kürzung gehen Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten verloren, sich in dieser Welt zu verorten. Als Kulturagentenprogramm setzen wir uns gemeinsam mit den Berliner Akteur:innen der Kulturellen Bildung dafür ein, dass Kooperationen zwischen Schule und Kultur auch weiterhin ein lebendiger Bestandteil von Schule und der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen bleiben: Kooperationen, die Diversität bejahen, die Veränderung begrüßen, die das stark machen, was uns verbindet und sich an den Unterschieden erfreuen. Und deren Akteur:innen gemeinsam um gerechte Bildungschancen und nachhaltige und demokratische Formen des Zusammenlebens in der Schule, der Gesellschaft, auf dem Planeten ringen.
„Das Kulturagentenprogramm ist seit vielen Jahren ein verlässlicher Partner für uns, der uns dabei unterstützt, unser kulturelles Schulprofil mit hoher Qualität weiter zu entwickeln und damit für mehr Bildungsgerechtigkeit und Bildungsqualität zu sorgen. Wir sind zudem zutiefst davon überzeugt, dass Kulturelle Bildung ein entscheidendes Mittel zur Demokratiebildung und Demokratieförderung ist. Die Kürzungen treffen uns und damit die Schüler:innen empfindlich und gefährden fest in unserem Schulalltag verankerte Kooperationsstrukturen akut.“
Sandra Schlesinger (Schulleiterin) und Nanine Schulz (Kulturbeauftragte), Erika-Mann-Grundschule
Literatur:
El Mafaalani, Aladin/ Kurtenbach, Sebastian/ Strohmeier, Klaus Peter (2025): Kinder – Miderheit ohne Schutz. Aufwachsen in der alternden Gesellschaft. Köln: Kiepenheuer&Witsch
Terkessidis, Mark (2015): Kollaboration. Berlin: Suhrkamp
Bilder in der Fotogalerie:
Bilder der Willkommensklasse der Rosa-Parks-Grundschule
Placemats zu Team- und Einzelarbeit der Klasse 5c der Peter-Pan-Grundschule
Gedanken der Schüler:innen im Schwerpunktunterricht Kultur des 5. Jahrgangs an der Adolf-Glaßbrenner-Schule